Swastika
»What wouldn’t I do for this man?«
Ein großer Deutscher Philosoph lobte einmal die Höhe der Berge dafür, dass sie ihm zu Weitsicht und Überblick verhelfe – ein treffendes Bild für höhere Erkenntnis. Doch er beklagte sich auch über die dort allgegenwärtigen Wolken und Wiederkäuer, die den Ausblick und die Ruhe stören konnten.
Philippe Moras ›Swastika‹ ist eine einzige, 90-minütige Verunsicherung. Das ist gut so. Nun ist er auf DVD erschienen, mit tollem Bonusmaterial. Er hat auch fast vierzig Jahre nach seiner Uraufführung nicht an Aktualität verloren und bleibt nach wie vor pädagogisch wertvoll.
Schon allein der Vorspann steckt voller Sprengpotenzial und wirft die ersten Fragen auf. Es beginnt mit zwei Texttafeln. Eine Einführung fast wie im Märchen. Dann aber zunächst der Blick ins Allgemeine: das All; die Sterne. Schon schält sich heraus, was hier das Besondere sein wird. In Form eines Hakenkreuzes erleuchten gleißend hell die Gestirne am Firmament. Swastika. Ein Schwenk, ein Zoom, auf die Erde, auf Europa, auf Deutschland. War Hitler also doch ein »Außerirdischer«, ein Biest aus der Fremde, das zu uns herab gekommen? Oder ist gar nicht er das Besondere? Sondern ist gerade dieses Allgemeine das Besondere, das wir in jedem noch so kleinen Staubkorn des Universums finden könnten, wenn wir nur wagten hinzuschauen?
Deutschland zu Beginn der dreißiger Jahre. Ein neuer Tag beginnt. Auf den Straßen und Schienen nimmt das Leben von Zeitungsjungen und Werksarbeitern Fahrt auf. Ein Land ist im Aufbau, man meint Gründerstimmung zu verspüren. In der Stadt wie auf dem Land. Freude und Glück. Wohnt nicht jedem Anfang auch sein Ende inne?! Man ist geschäftig, bald auch ›end-ziel-strebig‹.
Das Land gedeiht. Der Führer versteht die Wünsche seiner Bürger zu befriedigen. Die Massen wollen Brot und Arbeit. Die Damen vom Obersalzberg noch ein weiteres Mal »Vom Winde verweht«. Bei Kaffee und Kuchen plaudern Hitler und seine Engsten über die vorabendlichen Filmvorführungen, über neueste Fototechnik und das Gedeihen der Kleinsten; wie schön doch ein weiterer Spaziergang in der Höhenluft wäre, als verdienter Feierabend nach einem harten Arbeitstag im Führungsstab des Reiches. Unverfälscht zeigt sich hier die »Banalität des Bösen«. Eva Brauns eigener Kamera sind diese Bilder zu verdanken. Sie machen uns zu Zeugen unbeschwerten Treibens, von Neckereien und Flirts, und von tierliebenden, sportstollen Kleinbürgern, wie Frau Braun selbst einer war. Ebenso werden wir Hitler als andächtigen Taufpaten von Görings Tochter Edda sehen. Immer wieder werden sich diese Szenen zwischen die Dokumente der Propaganda und die der Greul schneiden. »Die Montage fügt zusammen, was scheinbar nicht zusammen gehört.« Das ohne jeden erklärenden Kommentar. Eine Unverschämtheit. Wie soll man sich denn davon distanzieren können? Soll man nicht.
Olympia 1936 als Fest der Freude, pompöseste Staatsempfänge zur Machtdemonstration, Göring und Göbbels als volksnahe Geschenke-Bringer, das Hakenkreuz als Fliegerformation oder als großer Stern-Ersatz überm Weihnachtsbaum, und die echten horizontsprengenden Massen-Aufmärsche, surrealer gar, als die CGI-Herden der Herr-der-Ringe-Trilogie – alle diese überzogenen Maßlosigkeiten, können allein nicht erwirken, was das found footage vom Oberzalzberg schafft.
Dieser Film ist wahrlich ein Film gegen das Vergessen. Und wenn alljährlich, zum Tag der Einheit, das Feuilleton sich zu hochtrabend philosophischen Essays darüber erhebt, wie man das Vergessen verhindern könne, und was das eigentlich sei, wie es auszusehen habe, jenes Gedenken, und ob denn die jüngste Generation hierzu zu verpflichten sei, dann kann man ruhigen Mutes sagen: schaut ›Swastika‹. Sprecht darüber. Bleibt achtsam. Schiebt die Wolken beiseite, scheucht die Kühe ins Tal.
In der ›Washington Post‹ schrieb Kenneth Turan schon 1974, und dem ist auch heute nichts hinzuzufügen: »In Wirklichkeit ist ›Swastika‹, auch wenn er schwierig anzunehmen ist, der wirksamste unter den Anti-Faschismus-Filmen, einfach weil er uns zeigt, was Menschen oftmals zu vergessen scheinen. Eine Lektion, die nicht oft genug gelernt werden kann: Dass Adolf Hitler und seine Anhänger keine Teufel oder nachgebildeten Roboter waren, sondern im Alltag sogar normale Menschen, die in ihrer Freizeit nicht vom Rest von uns zu unterscheiden sind.«