Don’t look back
»Spiegel sind hier nicht erlaubt.«
Marina de Van stellt in »Don’t Look Back« die Integrität von Körper und Geist in Frage, wobei sie einmal mehr den Zugang durch ihre Bilder zu verstellen droht. Immerhin: Es erleben hier zwei der schönsten Frauen des europäischen Kinos den ultimativen mind-fuck. Und der Zuschauer gleich mit.
Die französische Journalistin Jeanne (Sophie Marceau) steckt in einer Schaffenskrise, gerade als / weil sie mit ihrem ersten autobiografischen Roman schreiberisches Neuland erkunden will. Ihr Entwurf leide an allzu peniblen Beschreibungen, ein Roman sei wohl nichts für sie, so ihr Verleger und ihre Mutter einstimmig. Tu es nicht, schau nicht zurück; in der (italienischen) Vergangenheit kramen bringt doch nichts, beharrt die hitchcocksch kühle Über-Mutter. Eigentlich verwunderlich, hatte Jeanne doch bereits als Kind erfolgreich autobiografische Kurzgeschichten verfasst: »Damals hatte ich noch viel mehr Fantasie.« Doch es fehlt ihr jede Erinnerung an die Zeit vor ihrem achten Lebensjahr; und nun auch noch besagte Fantasie zur eigenen Biografie. Wie viel Identität können wir schon für uns behaupten, wenn uns die Fantasie fehlt, unser Leben zu gestalten? Ich fantasiere, also bin ich – erfundene Konstrukte aber sind labil.
Jeanne steht das Leiden ins Gesicht geschrieben. Nach dem Treffen mit ihrem Verleger, tritt sie geblendet auf die Straße, beobachtet einen Autounfall und bricht in Tränen aus. Alles was nun folgt, wankt und stolpert meditativ einer zweiten, erlösenden Erleuchtung entgegen . . . Die Dinge um Jeanne beginnen sich zu verändern. Noch am selben Abend: Die Handkamera ihres Mannes zeichnet eine vollkommen andere Wohnungsarchitektur auf, als wir mit ihr durchschritten haben. Auch unsere Zeugenschaft steht in Frage. Immer mehr Möbel stehen plötzlich anders, die Dinge verändern ihre Farbe, Form und Stofflichkeit. Sogar die Menschen, deren Gesichter und Verhalten, erscheinen immer fremder.
»Draußen geht es. Aber hier drinnen . . .« Selbst diese Feststellung Jeannes hält nicht lange, denn schon findet sie sich wieder in kindlichen Alpträumen des Umherirrens durch die immer gleichen Blocks, bis zur Imagination kleiner Mädchen, die sie aus dem Schlafe wecken. Blusen passen nicht mehr, der Schmuck an den Händen befremdet, Fotos geben nur den Ander’n recht, und auch die Handkamera zeigt nicht die Französin Marceau, sondern die Italienerin Monica Bellucci.
Jeanne. Marceau. Bellucci. Jeannes Realitätsgebilde stürzen in sich zusammen; bzw. fallen auseinander. Eindeutig lässt sich das nicht sagen, dafür ist de Vans Inszenierung zu heterogen. Ein Psychologe stellt unbeteiligt fest: »Was wir wahrnehmen wird dadurch geformt, was wir glauben, und was wir wissen.« Glauben und Wissen. Bei Jeanne, und wer von uns könnte nicht selbiges von sich behaupten, scheint da so manches uneins. Folgt man »Don’t Look Back« bis ans Ende, so ist Jeannes Wahrnehmung wohl auch durch das geformt, was sie sich wünscht. Und außerdem noch durch das, was sie denkt, das sich andere von ihr wünschten! Glauben. Wissen. Denken. Wünschen. Alles auf einmal und alles durcheinander. Um Eindeutigkeit zeigt sich de Van auch in dieser Hinsicht nicht gerade bemüht. Beliebigkeit dominiert, fehlender Mut zur Fantasie auch hier ›eine mögliche Ursache‹.
Die liebevolle Eingangssequenz von »Don’t Look Back« deutet subtil bereits vieles von all dem an. Im Bad: Jeanne in der Wanne. Jeanne ist verspannt. Jeanne trocknet sich mit einem Handtuch. Jeanne schminkt sich. Zum Schluss: Jeanne streicht sich aufmerksam über eine ihrer Brauen, wie zum Abgleich mit einem Foto, das sie in jüngeren Jahren zeigt. Schon hier steht die Beweiskraft des Fotos in Frage. Zu welcher Vorstellung kämen wir wohl von uns, ohne die Möglichkeit eines Blicks von außen? Was soll das sein, ein Blick von außen? Die Kamera interessiert sich währenddessen mehr für die auffällig vielen vorhandenen, kleinen und großen Spiegel, und verchromten Gestänge und Armaturen, und für die glatten Fliesen. In ihnen spiegelt sich Jeannes Körper und seine Handlungen lediglich fragmentarisch, verzerrt oder unscharf – vom stets bewegten Kamera-Blick zerlegt. Alles verändert sich; ständig. Selbst die Typografie der opening titles. Diese ersten Bilder sind ungemein vieldeutig und spannungsreich dazu. Alles könnte hier eine – verdrehte – Spiegelung von etwas anderem sein. Rechts von links, Oben von unten, vorn von hinten, und auch innen von außen, wie andere Kadrierungen später andeuten werden. Leider finden wir vergleichbare Montagen im Verlauf von »Don’t Look Back« aber selten, oder nur beiläufig versteckt zwischen fragwürdigen Effekten des Übergangs und der Mutation, wenn sich zum Beispiel verschiedene Gesichter zu einem morphen. »Das erscheint mir alles inszeniert!«, beschwert sich Jeanne zurecht. Auch in vermeintlich bester Absicht eingesetzt, genügen derlei Effekte doch nur sich selbst und lassen Jeanne, und uns außen vor. Auch die ständige Beschau einer von Angst verzerrten, wimmernden Mimik Marceaus, hält uns eher auf Abstand. Mehr Blicke mit ihr, weniger auf sie, hätte sicher gut getan.
Zudem setzt de Van nicht gerade auf Tempo. Dafür umso mehr auf psycho-philosophische Fülle unter einer Masse beängstigend uneindeutiger Atmosphäre qua stimmiger Sets und zwischenweltlicher Licht- und Schatten-Setzung. Sowie auf besagte Morphing-Effekte, die zusätzlich mehr verschleiern als dass sie erhellen, auch wenn sie erklärbar sind. Bei all dieser Verstellungstechniken verwundert das allzu simplifizierende und noch dazu überflüssige Schlussbild dann umso mehr. Die Kunst der Auslassung sucht man hier vergebens. Am stärksten ist »Don’t Look Back«, wenn er uns durch seine Montage und geschickt gewählte Details in Jeannes Fragen um ihre Identität anhand ihrer Körperlichkeit zu ziehen vermag. Dann ist er bestes de vansches, ebenfalls wieder autobiografisch angehauchtes, body-minded Cinema!