Beautiful
Gitter vor was das Schöne sei!
Dass die aus Großstädten ausgelagerten Wohnsiedlungen nicht gerade förderlich für eine gesunde Kreativität ihrer Bewohner sind, mag niemanden überraschen. Ihre innere Homogenität und geografische Randständigkeit tragen dazu ebenso bei, wie die dort herrschenden Gesetze des gegenseitigen Miteinanders. Diverse Filme und Serien haben sich dieses Sujets bereits verschrieben und einige der besten Regisseure entstammen selbst derlei Mikrogesellschaften. So ist zum Bespiel der großartige Scherenhände-Edward undenkbar ohne Tim Burtons Kindheit in Burbank, Kalifornien. Die beiden englischen Worte ›suburb‹ und ›outskirt‹ benennen das strukturelle Defizit zwar explizit (sub = unter / out = außen). Doch in Wahrheit sind diese Vororte durchaus mehr als nur irgend ein minderes Äußeres: sie sind faszinierendes Niemandsland, Übergangsorte, Schwellen der Transformation.
»Beautiful« nennt sich der jüngste Beitrag zu diesem Thema, von Dean O’Flaherty aus Australien: Danny ist 14 Jahre jung und mitten in der Pubertät, dem Übergangszustand schlechthin. Das heißt auch: er ist noch eher Kind und noch gesegnet mit der Fantasie, Spielfreude und Naivität eines Kindes! Er lebt in ›Sunshine Hills‹. Hier herrscht der möchte-gern-Prinzessinnen-Schick der empor Gekommenen und außer von dessen oberflächlicher und uniformer Idylle, gibt es nicht viel zu berichten. Hier leben, das heißt: in kurzen, monotonen, sich mechanisch wiederholenden Schleifen gefangen sein, wie die Montage gelungen unterstreicht. Umso wilder sprießen die Blühten (sub)urbaner Mythen um geheimnisvolle Typen und deren vermeintliche Untaten zu später Stunde, um verschwundene Mädchen und um ein Haus, in dem unglaublich Schreckliches geschehen soll. Und so ein Haus gibt es tatsächlich, doch wird sich zeigen, dass es nicht das von allen gedachte ist. Hinter (fast) jeder Tür ein Abgrund – keine heimeligen Nester, sondern viele vieläugige Schlünde. Allerdings: Für wie geheimnisvoll und abgründig man Greise finden soll, die Pornos schauen oder Pärchen, die auf SM-Praktiken stehen, sei einmal dahin gestellt. Auch hier, wie zu erwarten, nur wenig Fantasie.
Der jugendliche Danny ist ein noch unschuldiger Peeping Tom, ein »junger Perverser«: er schaut hinein in so manche dieser ›Abgründe‹. Durch seine Kamera gelingt ihm als einziger ein, naja, etwas anderer Blick auf ›Sunshine Hills‹ und seine riesigen Häuser und deren kleingeistige Bewohner. Die erklären ihn gemeinschaftlich zum outsider, selbst sein eigener Vater gibt ihm den Rat, sich besser anzupassen. Doch er steckt nunmal in der Mannwerdung, hat einen kreativen Kopf, entdeckt das andere Geschlecht für sich und ist mit all dem, wie sich ebenfalls zeigen wird, weit ›normaler‹ (wenn auch überfordert), als der ganze Rest zusammen. Danny steht an der Scheide: ausbrechen oder sich anpassen und eine innere Parallelwelt aufbauen, wie all die anderen? »Beautiful« erzählt in tollen Bildern von dieser inneren Reise Dannys, der bald seine inneren nicht mehr von den äußeren Bildern zu unterscheiden vermag. In wenigen Tagen erlebt er einen Entwicklungsschub, der ihn ins Kreiseln bringt, befindet sich die Welt um ihn im Gegensatz doch gänzlich im Stillstand. Verführung, Verwirrung, Verzweiflung. Gleichgewicht ade!
»Beautifuls« Erzählweise ist nicht grad die schnellste, doch er weiß uns vor allem mit vorzüglicher Kamera-Arbeit bei Laune zu halten. Hie und da aber wird man sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass der überbordende Bildüberschuss ohne den ihn legitimierenden Sinnüberschuss sich aufdrängt. Selbstverliebte Lichtfängerei werden böse Stimmen unken. Und auf den zweiten Blick erst wird man würdigen, was zunächst die wirklich große Schwäche scheint: Das Setting ist ungreifbar unspezifisch, die Ausstattung eklektisch, die Kamera blickt ohne jede Distanz, die Charaktere wirken hohl und oberflächlich, der Soundtrack bisweilen orientierungslos. Dies lässt zunächst aufstoßen, glaubt man doch spontan, das alles schon – weitaus origineller – gesehen zu haben. Doch aus der Perspektive Dannys macht das alles vollkommen Sinn: das Gefühl der Zeitlosigkeit, die naive Betroffenheit, die Unentschiedenheit, und die Unfähigkeit die Oberflächen tatsächlich tief zu durchdringen. Alles dies, was den Charakter Dannys beschreiben könnte, trifft auf »Beautiful« als Ganzes zu. Und unter diesem Blick gibt »Beautiful« dem Motiv der suburban paranoia gar eine neue Dimension: Was verzweifelten Hausfrauen die Wisteria Lane ist, könnte pubertierenden Jugendlichen das ›suburb‹ aus »Beautiful« werden, und Dannys Geschichte die wahrscheinliche Version von Leland Palmers bisher unbekannter Jugend vor »Twin Peaks«.
»Beautiful« glänzt mit einer großartigen Peta Wilson als Dannys Mutter sowie Asher Keddie als geheimnisvolle Schöne und Sebastian Gregory als Danny. Die Kamera hat viele wunderschöne Bilder eingefangen doch die Montage hätte durchaus einige Minuten mehr dieser Lieblinge töten sollen, um das Gesamtgefüge zu straffen. Das Innenlayout der gesamten Störkanal DVD Edition kann als ungewohnt bezeichnet werden (DVD links, Booklet rechts). Die beigefügten Interviews sind durchaus interessant, bedürfen aber einer ordentlichen Rechtschreib-Korrektur. Die Deleted Scenes halten noch ein zwei nette Einfälle parat – reinschauen!